Autor: Fritz I. Schwertfeger
Bilder: Fritz I. Schwertfeger
27. Juni 2020
Der japanische Hersteller Audio-Technica fertigt seit 1962 Tonabnehmersysteme und beweist mit vielen, durchaus unterschiedlichen Modellen, dass günstige MM-Tonabnehmersysteme sowie hochwertige Wiedergabegüte kein Widerspruch sein müssen. Das, wenn man so will, mit Kultstatus versehene AT95 E ist bestes Beispiel hierfür. Der Nachfolger AT-VM95 E und seine weiteren Ableger haben ein großes Erbe anzutreten, was zur Frage führt, ob dies auch gelingt.
Vor Jahren prägte ein namhafter Entwickler einen Satz, der mir im Gedächtnis geblieben ist. Wenn ein neu konzipierter Plattenspieler mit dem Audio-Technica AT95 E nicht anständig klingt, dann taugt er nichts. Wohlgemerkt ist hier von einem MM-System die Rede, das lange Jahre für etwa 35,00 Euro als Oberhaupt und Teil der AT90-Serie über die Ladentheke ging. Es ging sogar noch günstiger mit dem AT91 (24,00 Euro), erkennbar an seinem gelben Korpus. Ebenfalls im Bunde, der AT-Familie, der in weiß gehaltene AT3600L. Der war exklusiv anderen Herstellern vorbehalten. Und nicht zu vergessen, das AT95-78 für Schellack-Alben.
Genug Geschichtliches, schließlich stellt der japanische Audio-Spezialist Audio-Technica mit der AT-VM95 Serie eine neue Linie an Nachfolgersystemen vor. Das bei MM-Systemen durchaus weit verbreitete und bewährte Prinzip eines die Technik (Spulensystem) beherbergenden, gemeinsamen Tonabnehmergehäuses (Basis), nebst mit unterschiedlichem Schliff versehenen, austauschbaren Abtastnadeln, setzt sich auch hier fort. Das spart nicht nur Kosten, sondern erlaubt zukunftssicher, ein relativ unkompliziertes Upgraden und das Ressourcen schonend. Relativ deswegen, weil hier filigranes Vorgehen gefragt ist.
Die farblich unterschiedlichen Einschübe geben Einblick über das jeweilige Schliffbild, sowie die entsprechende Qualitäts- und Preisstufe. Wie auch bereits bei der Vorgängerserie, setzt Audio-Technica auf das Dualmagnet-Konzept. Anstelle eines großen Magneten, sind hier zwei sich gegenüberstehende Magnete in V-Form ausgerichtet und für die Abtastung des jeweils rechten und linken Kanals in den Rillenflanken verantwortlich. Davon verspricht sich Audio-Technica nicht nur eine verbesserte Abtastfähigkeit, auch Umfang des Frequenzgangs sowie Kanaltrennung erfahren gemäß Hersteller eine Steigerung.
Das Entree der umfangreichen VM95-MM-Familie bildet der in blau gehaltene VM95 C für 34 Euro, wie das AT91 seinerzeit, ein konisch geschliffenes System. Der konische Schliff ist im Grunde ein einfacher Rundschliff, langlebig, weitverbreitet und eben günstig in der Herstellung. Als nächstes Modell folgt der mit elliptischen Nadelschliff versehene VM95 E, für 49 Euro und wie sein legendärer Vorgänger AT95 E, in klassischem grün gehalten. Die konische Basis nutzend, verleiht der daraus resultierende, elliptische Schliff der Abtastung mehr Präzision. Die Verbesserungen machen sich laut Audio-Technica im Phasenverhalten und der Frequenzwiedergabe deutlich. Darüber rangiert, in oranger Farbausführung, der mit 119 Euro kostspieligere VM95 EN, dessen ebenfalls elliptisch geschliffene Nadel, ohne kostengünstige separate Einfassung, deutlich aufwändiger in den Nadelträger eingelassen wurde.
Ganze 169,00 Euro werden für das in rot gehüllte VM95 ML fällig, das mit einem Microlinear-Schliff bedacht wurde. Familienoberhaupt dieser Serie ist nun das braun ummantelte VM95 SH. Für den aufwändigen Shibata Schliff werden noch überaus vertretbare 199,00 Euro aufgerufen. Das halbe Dutzend macht dann das in weiß gehaltene VM95 SP (69,00 Euro) voll.
Mit seinem erweiterten Rundschliff ideal für Schellack-Platten. Audio-Technica bietet auch komplette Sets aus den VM95 Tonabnehmern und der AT-HS6BK Headshell an. Kostet zwar ein wenig mehr, hat aber den Charme, dass an mit dem SME-System kompatiblen Tonarmen, ein unkomplizierter Wechsel von unterschiedlich vorhandenen Systemen stattfinden kann. Und das vor allem nerven- wie zeitschonend.
Nähert man sich, sowohl dem AT-VM95 E wie auch dem AT-VM95 SH fällt die gediegenere Verarbeitungsqualität des Grundkörpers auf. Scharfe Ecken und Kanten finden sich kaum und die Anfassqualität zeigt sich deutlich wertiger als beim Vorgänger. Besonders erwähnenswert sind die nunmehr direkt ins Gehäuse eingelassenen Gewindebuchsen. Erfreulich für Grobmotoriker, wie Ästheten gleichermaßen. Letztere freuen sich auch über die optisch ansprechende Linienführung, die im Verbund mit den farbigen Einschüben eine klare und wie ich finde, harmonische Formensprache aufnimmt.
Das Audio-Technica AT-VM95 E überrascht im Vergleich zum Vorgänger mit einem deutlich anspringenderen, wärmeren und fülliger wirkenden Klangbild. So zeigt das neue AT-VM95 E dem gemütlicher wirkenden AT95 E, hinsichtlich Auflösung im oberen Frequenzband, Transparenz und Farbintensität in den Mitten, sowie Festigkeit und Fülle in den unteren Oktaven, deutlich die Rücklichter.
Da ist hörbar mehr Brustumfang in Bill Callahans Stimme im Stück „Angela“ (Shepherd In A Sheepskin Vest) zu vernehmen, was letztlich zu mehr Ausdruck und Natürlichkeit führt. Das in diesem günstigen Preissegment eine derartige Steigerung möglich ist, verblüfft mich dann doch ungemein.
Aus ganz anderem Holz ist wiederum das AT-VM95 SH geschnitzt. Hier kann sich das neue VM95 E noch so mühen, das VM95 SH spielt mit seinem Shibata-Schliff schlichtweg in einer eigenen Klasse und legt in allen Bereichen deutlich zu. So wirken die sanft mäandernden Klanggebilde des Stücks „Patchouli Blue“ aus dem gleichnamigen Album von Bohren & Der Club of Gore nicht nur plastischer, sondern auch aufgrund der natürlicher wirkenden Intonation, ergreifender und schlicht involvierender.
Bemerkenswert, mit welch natürlicher Griffigkeit das Saxophonspiel versehen wird. Das VM95 SH arbeitet den räumlichen Kontrast zwischen dem schwebend wirkenden Spiel des Saxophons und den sich ineinander wirbelnden Klanggebilden müheloser und vor allem straffer, akkurater als das VM95 E heraus. Auch leuchtet das VM95 SH mit größerer Intensität in Tiefe und Breite der virtuellen Bühne, die sich großzügiger an die Ränder hin auszudehnen scheint, als mit dem VM95 E.
Unüberhörbar die gesteigerte Feinauflösung und mehr als nur respektabel, das im Vergleich zum braveren VM95 E, temperamentvoll-feinperlig wirkende Höhenspiel . Lang ausschwingenden Töne werden deutlicher erfasst und erklingen mit großem Detailreichtum. Von Nervigkeit keine Spur. Unmissverständlich gibt sich das VM95 SH feinsinniger im Umgang mit zarten Nuancen, zeigt sich detailverliebter, ohne dabei nach oben hin ins glasige oder harte überzugehen. Vielmehr, und das macht seinen Charme aus, vereint es hohe Auflösung und seidig-samtige Gangart zu einem stimmigen Ganzen.
Das Mittenband ist eher auf der neutral-akkuraten, denn wärmeren Seite zu verorten. Bietet dennoch im Vergleich zum kleineren Bruder mehr Schmelz, Farbintensität und auch mehr Transparenz. Im Vergleich zum VM95 E, erklingt die zuvor erwähnte sonore Gesangs-Stimme von Bill Callahan straffer eingefasst und gleichwohl natürlicher. Das mag vielleicht daran liegen, dass das VM95 SH, Timbre und die Phrasierung der stimmlichen Intonation deutlicher und müheloser herausarbeitet. Sowohl die spärliche Instrumentierung, beispielsweise der Holzkorpus einer klassischen Gitarre, als auch der Umriss und die Körperhaftigkeit gelegentlich eingespielter perkussiver Elemente, erleben eine größere Natürlichkeit und Authentizität.
Alles andere als verdichtet wirkt das Gemenge aus Stimme und Instrumentierung, im Stück „The Ballad Of The Hulk“. Die höhere Separationsfähigkeit erlaubt dem Zuhörer, die aus dem Rückraum irrlichternden Fidel-Klänge müheloser einzufangen. Wunderbar auch in seiner Homogenität, der Holzkorpus der klassischen Gitarre.
Die im Vergleich zum VM95 E durchaus gesteigerte Fähigkeit, dynamische Zusammenhänge hörbar zu machen, belohnt das VM95 SH mit einer anspringenderen Darstellungsfähigkeit des Geschehens. Gerade das plötzliche Anheben der Stimme, der Zuwachs an Tempo wird mit fast schon spielerischer Leichtigkeit übermittelt. Der Transport dieser Feininformationen gelingt, ohne je den Überblick zu verlieren oder gar fahrig zu wirken. Ein Umstand der wiederum der Emotionalität eines Stücks, durchaus mehr Ausdruck verleiht.
Was die unteren Register angeht, staune ich ebenfalls nicht schlecht. Denn tieffrequente Impulse, wie sie bei Hannah Eppersons Stück „Tell The Kids It´s Gonna Be Alright (Slowdown) zu finden sind, erklingen mit mehr Wucht und Tiefe. Ohne dabei bräsig oder unkontrolliert zu wirken. Ganz im Gegenteil, hier ist straffe Klarheit und profundes Auftreten kein Widerspruch, so dass ich hier von einer sehr gelungenen, auf jegliche Effekte verzichtende Darstellungsweise sprechen möchte. Das eloquent und mit hoher Musikalität aufspielende VM95 SH überzeugt letztlich auf ganzer Linie. Zwar ist ein gehöriger Respektabstand zum deutlich kostspieligeren MC-System AT-0C9 ML/II von Audio-Technica vorhanden, aber alles andere wäre ja auch seltsam gewesen.
Sowohl dem Einsteiger, als auch dem Aufsteiger reicht Audio-Technica mit der neuen VM95-Tonabnehmer-Serie eine kostenbewusste, wie klangstarke Auswahl zur Hand. Während das günstige VM95 E eine spürbare Steigerung verglichen mit seinem Vorgänger aufzeigt, bieten die übrigen Familienmitglieder ein reichhaltiges Experimentierfeld.
Das findet mit dem hochmusikalischen VM95 SH seine Krönung. Denn das Audio-Technica VM95 SH spielt nicht nur homogen und ausgewogen auf, sondern ist bei aller Breitbandigkeit, auch gleichzeitig einer hohen Neutralität verpflichtet. Ausgestattet mit großer dynamischer Beweglichkeit, sorgt es für eine in diesen Preisgefilden eher unüblich hohen Musikalität und Emotionalität. Damit verdient sich das AT-VM95 SH nicht nur eine klare Empfehlung, sondern ist auch ein klangliches Highlight.
Mehrere Punkte sind als Quintessenz dieses Vergleichs hervor gegangen. Der Kultfaktor im Vergleich zur alten Serie dürfte noch größer ausfallen, während die Klangqualität in allen Belangen gesteigert wurde. Wie auch bei der Vorgängerserie, wurde auch das Kapitel Nachhaltigkeit bei der Konstruktion berücksichtigt. Die stets gleiche Basis, als Aufnahme der unterschiedlichen Nadelsysteme schont nicht nur den Geldbeutel, sondern auch Ressourcen. Und ja, der immerwährende, forschende Experimentiertrieb des Musikfreundes kann hier ungehemmt, d.h. ohne ruinöse Tendenzen, zum Zuge kommen.
Audio-Technica beweist, dass man sich hohe Ziele durchaus selbst vorgeben und auch erreichen kann. Dass diese Evolution so lange gebraucht hat? Geschenkt. Profiteur ist letztlich der Musikfreund, der hier fürs Geld einen enormen klanglichen Gegenwert erhält. Und eines ist gewiss, mit der Plattensammlung und den AT-VM95 Tonabnehmer-Systemen, wird man viel Zeit verbringen wollen. Deren Grundcharakteristika, bestehend aus mitreißender Spielfreude und ausgesprochen involvierender Musikalität werden garantiert dafür sorgen.
Audio-Technica AT-VM95 E / AT-VM95 SH
Erhältlich für 49,00 / 199,00 Euro im Handel oder via www.eu.audio-technica.com
Weitere Informationen über www.eu.audio-technica.com
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